Autoren: Tetiana Shyrochenko, Leiterin der Lebensmittel-, Milch- und Einzelhandelsausschüsse der European Business Association, Maximilian Luz Reinhardt, Referent für Wirtschaft und Nachhaltigkeit, Experte für Energie, Klima, Ressourcen, Landwirtschaft, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Lastwagen ukrainischer Spediteure bleiben am Grenzübergang an der ukrainisch-polnischen Grenze blockiert, Region Lviv, Westukraine. © picture alliance / Photoshot | -
Seit mehr als zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Seit mehr als zwei Jahren werden die Menschen in der Ukraine nachts von Bombenalarm geweckt, verlieren ihr Zuhause, ihre Arbeit, ihre Einkaufsmöglichkeiten - und ihre Lieben. Der Krieg hat unendliches Leid über die Ukraine und ihre Menschen gebracht. Die beschriebenen direkten Folgen stellen die indirekten natürlich in den Schatten. Aber auch sie haben massive Auswirkungen auf das Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer.
Zu den indirekten Folgen des Krieges gehören zum Beispiel die neuen Handelswege, die nun gesucht werden müssen. Vor der Invasion Russlands war die Ukraine ein wichtiger Exporteur von landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln sowie von Rohstoffen und veredelten Produkten. Güter, die auf eine günstige Transport- und Lagerinfrastruktur angewiesen sind. Beides ist durch den Krieg nicht mehr gewährleistet. So gefährdet der Bombenterror Russlands permanent Handels- und Lagerstandorte und mindestens in gleichem Maße die Energie-Infrastruktur. Letztere ist unverzichtbar für alle Güter, die gekühlt, getrocknet oder veredelt werden müssen, um gehandelt werden zu können. Kurzum: Prozessketten sind ins Wanken geraten und müssen neu gedacht werden.
Beispiel Milchwirtschaft
Die ukrainischen Molkereien und Milchverarbeiter kämpfen sinnbildlich an zwei Fronten. Zum einen müssen sie im eigenen Land den Verlust von Menschenleben beklagen, die Zerstörung der Infrastruktur und die Vernichtung des Viehbestandes verkraften und Mangelsituationen durch Stromausfälle und Treibstoffknappheit bewältigen. Zum anderen müssen sich Logistiker und Exporteure den immer neuen Herausforderungen im Außenhandel stellen. Zum Beispiel der mehr oder weniger durchlässigen Seeblockade durch die Schwarzmeerflotte - zweifellos eine sicherheitspolitische Herausforderung. Gleichzeitig entstehen aber auch diplomatische Engpässe, insbesondere an den Westgrenzen des Landes.
Beschleunigte europäische Integration
Die Lockerung der Handelsschranken mit Europa war ein Rettungsanker für den Export ukrainischer Milchprodukte in die EU-Märkte. Mehr als 50 Verarbeitungsbetriebe haben inzwischen eine EU-Exportgenehmigung: Ein wichtiger Meilenstein! Doch die Übernahme europäischer Standards ist eine große Herausforderung: Denn sie erfordert die Übernahme von rund 3.000 EU-Richtlinien, insbesondere in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Landwirtschaft. Für die Vertreter der ukrainischen Milchwirtschaft steht außer Frage, dass die Modernisierung zur Erfüllung dieser Standards für einen wettbewerbsfähigen Zugang zu neuen Märkten unerlässlich ist. Allerdings wird die ohnehin schon gewaltige Aufgabe aufgrund der Umstellung durch Krieg und Unsicherheit zusätzlich erschwert.
Logistische Herausforderungen und Grenzsperren
Die anhaltenden Grenzblockaden zu Polen sind ein weiterer Schlag für eine Branche, die ohnehin mit unterbrochenen Lieferketten und steigenden Transportkosten zu kämpfen hat. Dies gilt an sich für alle Arten von Produkten - bei Milchprodukten kommt jedoch die besondere Verderblichkeit hinzu. Bereits kürzeste Unterbrechungen der Kühlkette führen hier zu einem vollständigen Wertverlust. So haben die teilweise tagelangen Staus an den Grenzübergängen zwischen der Ukraine und ihren westlichen Nachbarn schon Tausende Liter Milchprodukte verderben lassen. Der Grund: Die Kühlaggregate durften nicht länger laufen, weil sonst der Treibstoff für die Weiterfahrt gefehlt hätte. Zu den administrativen und bürokratischen Hürden der Nachbarländer kommt nun auch noch der Widerstand der heimischen Landwirte und Lebensmittelunternehmen. Einer der Gründe ist so einfach wie verständlich: Das Angebot ukrainischer Waren schwächt die lokale Marktposition und schmälert die eigenen Einnahmen – hinzu kommen natürlich innenpolitische Probleme: Die polnischen Landwirte sind, wie anderswo in Europa, unzufrieden mit der Gängelung und den Vorgaben der nationalen und europäischen Agrarbehörden und tragen zusätzlich politische Grabenkämpfe aus. So kommt es an den Grenzen immer wieder zu Massenprotesten und Übergriffen aufgebrachter Bauern, die um ihre Zukunft fürchten.
Landwirte blockieren während des landesweiten Generalstreiks in Krakau, Polen, am 20. März 2024 die Straße um den Mogilskie-Kreisel. © picture alliance / NurPhoto | Klaudia Radecka
EU-Agrarvorgaben
In diesem Sinne hat nun auch die polnische Regierung die EU um eine vorübergehende Aussetzung der Agrarregelung für polnische Landwirte gebeten. Es sei wirtschaftlich kaum möglich, mit ukrainischen Produkten zu konkurrieren, für die diese Regelungen nicht oder nur teilweise gelten. Angesichts der ohnehin angespannten politischen Situation in Bezug auf die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik und des anhaltenden Widerstandes der Landwirte gegen weitere Verschärfungen befindet sich die Kommission in einem Dilemma. Vor diesem Hintergrund besteht innereuropäisch die Hoffnung, dass die nächste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik weniger auf kleinteilige Gängelung und mehr auf marktwirtschaftliche Orientierung setzen wird.
EU-Außenpolitik
Die angekratzten Beziehungen zwischen der EU, den betroffenen Mitgliedstaaten und der Ukraine müssen indes nachhaltig gestärkt werden. Mehr Zusammenhalt und Kooperation sind gefragt - alles andere stärkt indirekt nur den Aggressor im Kreml. Vor diesem Hintergrund ist eine rasche und vor allem nachhaltige Lösung an den Grenzen von größter Bedeutung.
Ressource: Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
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